250 Watt – ein Wasserkocher mit der Leistung bräuchte knapp 30 Minuten um einen Liter Wasser zum Kochen zu bringen.
250 Watt – wenn ich mich auf einen Hometrainer setze und in die Pedale trete, schaffe ich es 150 Watt zu halten.
250 Watt – die maximale Motorisierung, damit ein Fahrrad noch als Fahrrad gilt.
Und es ist ungemein attraktiv für mich.
Es verändert meine Umgebung – Berge oder Anstiege werden eingeebnet, Strecken verkürzen sich. Und nach fünf Jahren Nutzung hat mir das regelmäßige, mäßige Training zu einer solchen körperlichen Verfassung verholfen, dass ich für die Wülfrather Straße bergauf nicht einmal mehr aus dem Sattel gehen muss.
Denn: ich fahre sehr viel mit meinem Fahrrad. Kinderbringdienste, zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Freunden.
In, durch, längs, querbeet Wuppertal.
Es fing harmlos an. Ein Fahrrad. Ein Motor, ein Akku. Ein Kindertrailer, ein Lastenanhänger, ein Kinderanhänger, ein Tandem. Bald ein Lastenrad –
Und ich habe mich gefragt, ob es anderen auch so geht – oder bin ich ein Freak?
Die erste umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung zum Thema erscheint erst später im Jahr. In dieser deutschlandweiten Untersuchung wurden Pedelec-Nutzende zu ihrem Verhalten befragt.
Die Schwerpunkte der Untersuchung “Pedelection” waren Bremen, Hannover, Frankfurt, München. Und wie sieht das in wirklich topografisch anspruchsvollen Umgebungen aus? Kassel, Stuttgart, Wuppertal?
Also habe ich selbst nachgefragt. Ich habe die Gesprächsleitfäden für die geführten Interviews erbeten und tatsächlich für das Einstiegsgespräch einen solchen erhalten. Mit dem habe ich erst einmal in meinen vertrauten Bereich, wie Nachbarin oder Freundin, Gespräche geführt. Dann traute ich mich zu Arbeitskollegen und anschließend zu Wildfremden.
Zum Nachlesen habe ich die Interviews alle auf meinem Blog veröffentlicht. Ich habe nicht nur einmal gestaunt – über Umstände, die offensichtlich sind, aber mir nicht klar waren.
Tatsache ist, dass in Wuppertal die Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr gut ausgebaut ist. Während die Treppen, für die Wuppertal bekannt ist, verfallen, weil niemand sie nutzt, fahren Wuppertaler Auto, statt zu Fuß zu gehen.
Schon mit meiner geringen Motorisierung kann ich die bestehende Auto-Infrastruktur gut mitbenutzen. Die Obere Lichtenplatzer lädt mich bergauf eher zu Ausblicken als zum Auspowern ein. Die Nebenstrecke auf der Nordhöhe mit teils knackigen Anstiegen fährt sich wie die Nordbahntrasse.
Die Nordbahntrasse ist großartig, nur leider nicht auf meinem täglichen Weg zur Arbeit. Dafür fahre ich von der Wupper aus über die Waldesruh und den Hedwigweg hoch bis zum Schulzentrum Süd. Ich erwarte von niemandem, dass ich hier einen Fahrradlift oder Ähnliches hingestellt bekomme. Im Gegenteil, ich genieße es, alleine durch den Wald zu fahren.
Aber alleine bin ich nicht mehr mit meinem Pedelec in Wuppertal. Die anderen sind nur auf Tour. Oder auf der Arbeit. Oder zu schnell weg. So hatte ich einige Mühe, neben meinem 40-Stunden-Job auf eine ausreichende Anzahl von Interview-Partner zu kommen – ich wollte ja nicht nur mein direktes, inzwischen von mir elektrifiziertes Umfeld abgrasen.
Ich bin im Februar auf die critical mass gefahren und habe nach Vorderrädern mit dicker Nabe gesucht, aber die beiden Jungs mit den selbstgebauten Pedelecs mit dem Akku in der Tasche waren diesmal nicht dabei. Also habe jenseits meiner peer-group Menschen angesprochen und bin auf Zugezogene gestossen.
Menschen, die das Fahrradfahren nicht lassen können. Die sich in dieser Stadt früher nicht trauten, aber jetzt motorunterstützt wieder ihren Alltag auf zwei Rädern bewältigen.
Im Gegensatz dazu gibt es eine Generation von in Wuppertal geborenen und aufgewachsenen Menschen, die schlichtweg nicht Fahrradfahren können. Das war für mich so unfassbar, dass ich erstmal alte Klassenkameraden anrufen musste, um sie zu fragen, ob ihre Mutter in Wuppertal aufgewachsen sei und ob sie Fahrrad fahren kann. Das tu ich auch nicht alle Tage.
Aber warum sollten sie es auch können? Das Fahrrad ist als Verkehrsmittel weder bei den Wohnhäusern noch bei den Arbeitsstätten baulich eingeplant.
In den Wohnquartieren gibt es Garagenhöfe oder für die Parkplatzgewinnung zugeteerte Vorgärten. Haus- und Kellereingänge sind meist schmal und nur über Stufen zu erreichen. Für Fahrräder gibt erst seit Ende der 1980iger Jahren kostengünstige Schaltungen, die Radfahren in Wuppertal jenseits der Talsohle überhaupt erst ermöglichen. Und vor 100 Jahren wird auf Kopfsteinpflaster und Vollgummireifen wohl niemand auf die Idee gekommen sein, es der Barmer Bergbahn gleichzutun.
Deswegen ist es für mich nicht mehr verwunderlich, dass bis weit in die 1990iger Jahre Fahrradwege nur sehr schleppend ausgewiesen wurden. Und ich würde im Nachhinein sagen: zum Glück! Fahrradfahrende gehören auf die Fahrbahn als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer und nicht auf Verkehrssonderflächen, die schlimmstenfalls zugeparkt werden.
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Der vorletzte Satz, in einem mir vorab zur Verfügung gestellten Artikels im Rahmen der Pedelection, lautet:
Es gibt kaum einen Pedelec-Nutzer, der keine Geschichte zum oft zitierten “Pedelec-Grinsen” zu erzählen hat.
Das Pedelec-Grinsen…
Ich kenne das. Und es macht über jeden Spott erhaben.
Dieser Text wurde Anfang 2015 von mir der Redaktion der talwærts zugeschickt, die Auszüge daraus veröffentlicht haben. Dafür nochmals vielen Dank!