Vorab:
Ich oute mich mal direkt –
ich bin Schwelmer.
Zur Schule ging ich in Elberfeld und bin jeden Morgen mit der Bahn gependelt. Inzwischen habe ich eine Nettomigrationsstrecke von 23 km zurückgelegt und wohne tief im Wuppertaler Westen. Daher heißt der Blog auch westrad, seit ich das Liegerad von ostrad elektrifiziert habe.
Vielleicht auch, weil es für mich schwer war, mir die alte URL zu merken – oder sie jemand anderem mündlich mitzuteilen.
Meine Fahrradsozialisation:
Mein älterer Bruder nahm mich als Zehnjährigen mit auf Tour – für eine gute Stunde. Die Touren hatten die Struktur, dass sie steigungsarm auf die Höhen führten und dann mit einer Schussfahrt ins Tal endeten.
Als 13jähriger muss ich die Strecken selbsttätig gefahren sein und später das Rad von 3 auf 12 Gang aufgerüstet haben.
An die braungemusterten Tapeten und den Teppichboden des Fahrradhändlers kann ich mich noch gut erinnern. Den Geschwindigkeitsrekord von damals – mit dem Anschlag des VDO duo Tacho bei 70 km/h – hatte ich die Frankfurter Straße runter. Dabei hatte ich das erste Mal einen wackelnden Rahmen, inzwischen drücke ich bei solchen Schussfahrten immer ein Knie gegen das Oberrohr.
Ach so, ich wollte die Interviews Revue passieren lassen…
Bewerten werde ich die geführten Interviews nicht, auch nicht quantitativ auswerten.
Was mir aber auffiel war, dass ich kaum gebürtige Wuppertaler interviewt habe.
Folgende Arbeitshypothese habe ich mir dazu überlegt:
Fehlende innerstädtische Fahrradkultur wegen historischen Gegebenheiten
Wuppertaler Mietshausbewohner hatten zwischen 1880 und 1920 kein Geld, um Fahrrad zu fahren und keinen Platz, um es abzustellen. Und vor allem hatten die frühen Fahrräder keine Schaltung, Freiläufe, wirkungsvolle Bremsen und Luftbereifung.
Die Entwicklung des Fahrrades war zum Zeitpunkt des möglichen ersten Entstehens einer Fahrradkultur dementsprechend noch nicht für Wuppertaler Verhältnisse ausreichend entwickelt. Einige zeitgenössische Illustrationen dazu. Der PKW-Boom ab 1960 hat alles andere erstickt.
Die Zeit hat sich geändert, die Fahrräder haben eine gewisse Evolution mitgemacht, und auch ich habe mein Fahrrad aufgerüstet.
Ich meine, dass es albern ist zu glauben, irgendeine politische Macht oder ein von wirtschaftlichen Interessen geleiteter Akteur könnte die konkreten Mobilitätsprobleme eines Individuums schnell, günstig und umfassend lösen. Das muss das Individuum selbst hinbekommen. Das ist nicht zynisch, das ist pragmatisch.
Allerdings heißt reiner Pragmatismus: Autofahren, da die Allgemeinheit für die Nebenwirkungen aufkommt. Gewinne privatisieren – Verluste sozialisieren – sogar im kleinen Rahmen.
Was ich jetzt als Individuum mit Pedelec tun kann, ist auf das Auto zu verzichten.
Es bleibt mir die gut ausgebaute Infrastruktur.
Ein Verkehrssystem, das einmal existiert, kann nicht ohne weiteres wieder beseitigt werden.
Stephan Rammler (2014)
In der Vergangenheit liegende Festlegungen im Bereich des Verkehrswesens, trotz einer möglichen Änderung der Faktenlage, erweisen sich als Fessel oder Gegenkraft für eine positive Weiterentwicklung.
Fritz Voigt (1953)
Denn Wuppertal hat eine exzellente Infrastruktur für den automobilen Verkehr (alle langen Steigungen innerstädtisch mit maximal 7% (Obere Lichtenplatzer, Cronenberger, Max-Horkheimer)) – und mit einem Pedelec kann ich sie mitbenutzen ohne an ihr zu verzweifeln.
Aber vielleicht ist es ja wirklich, wie Ski fahren in der Sahara. Es ist super, aber die Einheimischen haben es nicht entwickelt.