Nachdem der Multipla von der Sitzanzahl nicht mehr ausreichte, musste ein neues Auto her.
Bedingungen:
- sieben vollwertige Sitze mit Dreipunkt-Gurt für beliebige Kinderanordnung
- LPG (nachgerüstet), weil der Sprit noch steuerbegünstigt ist
- billige Ersatzteilversorgung
L300 und T3 fällt bei 1.) aus, sämtliche Diesel bei 2.), Autos mit Sozialprestige bei 3.).
Es ist also ein 85kW-Ford Galaxy mit schon vorhandener LPG-Umrüstung geworden. Ein silbernes, großes und unauffälliges Auto. So unauffällig, dass es meiner Frau schwer fiel, ihn auf größeren Parkplätzen wiederzuentdecken. Inzwischen gibt es dafür auch ein Hinweis von Google auf einem Android-Handy, aber ich hatte damals noch einen Folien-Plotter in der Nähe und hatte grade mit den Zahnrädern rumgespielt… also Neongrün und reflektierendes Orange in Form geschnitten und das Auto damit beklebt.
Wie es beklebt wurde ist egal, ich fühle mich immer als Endnutzer meiner Autos.
Die Besitzhistorie meiner auf mich zugelassenen Verbrenner: MZ ETZ 250, BMW R 65 GS, Trabant 601, VW Golf II, VW Passat B3 Variant, Renault Mégane Scénic, Fiat Multipla, Ford Galaxy
Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von den Vorzügen von Fahrrädern oder Pedelecs schreibe ;-) oder im Umkehrschluss, wie brauchbar Autos sind. Autos sind Zeit- und Raumschiffe, sie transportieren eine Person und ihr Image, sie sind immer verfügbar und günstig im Unterhalt. Die Nutzung ist subventioniert, das Verständnis für ihre Nutzung ist allgemein gegeben, sozial anerkannt und teilweise sogar erwünscht. Aber auch im abgestellten Zustand markieren sie ein Revier, ermöglichen Sex in ihnen oder sie können als Gepäckaufbewahrung genutzt werden.
Wenn nur weniges anders gelaufen wäre, wäre ich heute sogar einer der Typen mit ‘nem T2a. Den hatte mir mein Bruder zur Verfügung gestellt und ich habe vor 22 Jahren mein sämtliches in Ferienjobs zusammengekratztes Geld in der Kiste versenkt. Nachdem mich dann ein in Wichlinghausen erteilter Mängelbescheid von ihm getrennt hat, hatte ich dann erstmal genug von 4rädriger Motorisierung.
Durch meine Sturm- und Drangzeit trug mich meine MZ oder der Kölner ÖPNV, während meines Studiums in Essen das Semesterticket und das Car Sharing der EVAG. Als kinderloser Essener (Holsterhausener) Innenstadtbewohner mit einem EDEKA nebenan und der U-Bahn in 2-Gehminuten-Entfernung bin ich nicht einmal auf die Idee gekommen, ein Fahrrad benutzen zu wollen.
Das änderte sich erst durch die wunderschöne Randwohnlage in Wuppertal – die allerdings ein eigenes Auto bedingt – quasi als Nebenkosten zur Miete einzuberechnen.
Mit sich ankündigendem ersten Kind sollte es dann auch ein anderes sein, als der doch damals noch recht unzuverlässige Trabant mit 6 Volt-Elektrik und Kontaktzündung – also ein fünftüriger Viertakter – und danach pro Kind ein anderes und größeres Auto – Kinderwagen, Windeln, Wechselsachen – Eltern kennen das Thema – oder auch die Frage, wie kommt die werdende Mutter noch rechtzeitig ins Geburtshaus, wenn die Wehen einsetzen? Ich sag nur soviel: beim letzten Kind war das trotz Auto reichlich knapp ;-) da ist einfach keine Zeit um nach Vohwinkel mit dem ÖPNV oder dem Rad zu fahren und da das CarSharing-Angebot der WSW neben der Schwebebahnendhaltestelle abzuholen.
Also: die zersiedelte Siedlungsperipherie um Ballungszentren bedingt die Benutzung von Autos – Münsteraner können da ein Lied von singen. Die Miet- und Immobilienpreise in den Speckgürteln sind ja auch nach Benzinpreis gestaffelt.
So und hier kommt das Pedelec ins Spiel.
Nachdem der ÖPNV in dem Teufelskreis mangelndes Angebot – mangelnde Nachfrage unbrauchbar gespart wurde, bleibt nur eine individuelle Lösung übrig. Und da gibt es weit und breit außer elektrifizierten Fahrrädern nichts auch nur annähernd so ressourcenschonendes. Und das Fahrrad ohne Unterstützung ist eben nicht geeignet die auf Autofahrentfernung zur Erwerbsmöglichkeit gelegenen Immobilien anzuschließen. Es ist ein Unterschied, ob ich verschwitzt 16 km/h im Schnitt fahre, oder entspannt 23 km/h, wenn ich termingerecht irgendwo sein möchte. Und speziell in Wuppertal entscheidet ein Pedelec, ob ich die Berge hochkomme oder nicht. Wenn ich den Bus für die Steigungsfahrten nutzen würde, dann könnte ich auch direkt alles mit dem ÖPNV machen.
Deswegen fahre ich jeden Werktagmorgen mit meinem Pedelec aus der Peripherie ins Zentrum und der dafür üblicher Weise vorgehaltene Zweitwagen ist obsolet geworden. Aber irgendeine Familienkutsche bleibt, solange die Kinder nicht aus dem Haus sind und vor allem solange der Wohnort nicht verändert wird – bei mir ist es zum Glück kein Wohneigentum, das würde einen ja noch unflexibler am Arbeitsmarkt machen – oder bei Stellenwechsel in eine andere (wohl möglich noch weiter entfernte Stadt) noch eher ins Auto zwingen …
Bei den Kindern gilt: Mobilitätserziehung ist Elternsache – wer seinen selbstverschuldet degenerierten Nachwuchs immer im Auto umherkutschiert, kann nicht ein freiwilliges und selbständiges Mobilitätsverhalten im ÖPNV oder auf dem Rad erwarten – andererseits haben andere von außerhalb kaum Einfluss auf die Erziehung von Kindern (die machen einfach alles nach) – ergo: es bleibt nur übrig Kinder selbst in die Welt zu setzen um diesen die Werdung zu verantwortungsbewussten, autokritischen und fahrradglücklichen Menschen zu ermöglichen.
Bei der Wahl eines Trikes ist auch au dem Fahrrad Sex problemlos möglich. Und für die 1-.2 mal, die eine Frau durchschnittlich wegen einer Geburt ins Krankenhaus/Geburtshaus/Natur (je nach Weltanschauung und Riskioaffinität) muss, gibt es durchaus andere Angebote (Taxi, Krankenwagen, …)
Aber auch jeder eingesparte Zweitwagen ist schon mal ein richtiger Schritt in die richtige Richtung-
Zu Sex auf dem Rad möchte ich mich jetzt nicht äußern – nur hier landen recht häufig Fahrzeuge in der Gegend (manchmal 2 – ein Kleinwagen, ein Kombi – und beim Kombi beschlagen dann die Scheiben – je nach Witterung). Oder auch Menschen, die einen Staubsaugerschlauch zwischen Innenraum und Auspuffrohr verlegen und den Motor laufen lassen. So vermeidlich abgeschieden ist das hier.
Für Dich getestet: 25 € für eine Taxifahrt zwischen Wohn- und Arbeitsstelle, 13 € Taxifahrt zum nächsten DB-Bahnhof; 14 Minuten bis der Rettungswagen auf dem Hof ist, 6 Minuten bis ich im Auto ein blutüberströmtes Kind in die nächste Krankenhaus-Notaufnahme gebracht habe. Aber es zieht ja nicht jeden Tag der große Bruder der kleinen Schwester eine Metall-Strandschippe über den Kopf … aber folgende kleine Begebenheit muss ich doch zum Besten geben:
Kind wird von Insekt gestochen – so weit – so trivial. Die Hand schwillt an, Papa sagt: das wird wieder gut – gute Nacht. Am nächsten Morgen noch dickere Hand – Papa sagt: das wird wieder gut, ich muss zur Arbeit und du in die Schule. Heute nachmittag komm ich früher zurück und dann schaue ich mir das noch einmal an.
Am Nachmittag sieht die Hand inzwischen aus, als hätte man einen Latex-Handschuh aufgeblasen. Also: auf zum kinderärztlichen Notdienst – denn es ist Mittwoch Nachmittag in Deutschland – der nächste Kinderarzt-Notdienst ist im Klinkum Niederberg (Velbert an der Grenze zu Essen) ca. 15 km entfernt. Ok, der Arzt verschreibt ein Kortison-Zäpfchen – auf zur Apotheke. MITTWOCH! Bei strahlendem Sonnenschein haben auch Apotheken am Mittwoch Nachmittag nur Notdienst-Betrieb – in einer geschlossenen Apotheke hängt ein Zettel der Auswahl von vier Notdienst-Apotheken von Wuppertal bis Essen.
Das ließe sich sicherlich alles auch ohne Auto hier in der Peripherie bewerkstelligen – aber der ÖPNV ist für solche Aktionen komplett unbrauchbar – oder ich hätte das Kind stundenlang auf dem inzwischen zu kleinen Kindersitz chauffieren müssen, weil das Trailerbike, bei dem es sich selbst festhalten muss, nicht eingesetzt hätte werden können. Die Kosten für ein Taxi mag ich jetzt nicht ausrechnen.
Nach der Zäpfchengabe schwoll die Hand dann recht schnell ab.
Worauf ich eigentlich hinauswollte: der Weg vom Autoland zum Fahrradland ist nicht einfach nur durch eine andere Verkehrsinfrastruktur zu regeln. Radschnellwege, Schutzstreifen, freigegebene Einbahnstraßen – ein Fahrradland oder eine Fahrradstadt muss kleinteiliger organisiert sein, muss geringere Entfernungen als akzeptabel definiert haben.
Rückbau der zersiedelten Landschaft, Konzentration des Wohnens in Städten mit auch dort deutlichem Ausbau der Infrastruktur – aber die besteht halt nicht nur aus geteertem Boden, sondern zum Beispiel auch durch Nahversorgungsmöglichkeiten die _nah_ sind, – also der ALDI in der Straße und nicht auf der Industrie-Brache mit riesigem Parkplatz.
Es muss völlig neu austariert werden, welche Entfernungen bei Beibehaltung der Wegzeiten noch vertretbar sind, wenn die Transportkosten steigen (die im Hier und Jetzt für die Benutzung von fossil angetriebenen Autos sehr niedrig sind).
In der Welt wird es einen Aldi heutiger Art nicht mehr geben. Der hat ein viel zu großes Einzugsgebiet.
Seit 30 Jahren sehe ich das – ich bleibe beim Beispiel ALDI – Supermärkte aus den Innenstädten rausziehen und in Autobahnabfahrtnähe mit großem Parkplatz “wieder”eröffnet werden – Varresbeck z.B. ALDI, LIDL, Edeka in “Laufweite” nebeneinander – aber mit riesigen Parkplätzen. Ich denke, dass ein informeller Gesellschaftsvertrag gekündigt werden muss. Der besagt, fahr ruhig Auto, alles wird auf die Benutzung von PKWs abgestimmt. Ob schon das Ende dieser Entwicklung erreicht wurde, kann ich nicht sagen, die Stausituation wird hingenommen und #Dieselgate mit Achselzucken zur Kenntnis genommen.
Nur ich glaube an keine langsame, steuerbare Transformation, sondern an schlagartige Veränderungen. Zum Beispiel in unbestimmter Zukunft an einen deutlichen Sprung beim Ölpreis. Der wird aber alle treffen – und für sehr viele wird eine gangbare Lösung gefunden werden, bei der der Wohlstand oder Lebensstandard nur im geringen Umfang gesenkt werden wird. Als jetziger Radfahrer und möglicher Weise kann ich dann sagen: Siehste, hab ich doch gewusst, hättest Du Dich besser auch mal darauf einstellen sollen. Aber für die Mehrheit wird schon was zum Abfedern gefunden werden.
Ich habe ab November 2014, dem Absturz des Ölpreises, den deutlichen Eindruck, dass ökologische Lösungsansätze deutlich an Beachtung verlieren, weil – und da macht sich der ökologisch Bewegte – so denke ich – halt was vor: das Umdenken bis dahin lag mehr an der Ökonomie, als an der Ökologie. Nicht der bewusstgemachte Verlust von fossilen Brennstoffen erzeugte ein Ansatz zum Umdenken, sondern einfach der etwas gestiegene Benzinpreis.
Die Explosion der Ölpreise wird schon lange vorhergesagt und sie kommt nicht. Da gewöhnt sich die breite Masse dran (“Wird schon nix passieren, bisher ist ja auch nichts passiert”).
Die Frage dahinter ist: In welchem Verhältnis sollen Freiheit/Markt und Paternalistischer Obrigkeitsstaat stehen? Die meisten Steuerungsmöglichkeiten in dieser Hinsicht bedeuten mehr oder weniger starke Einschränkungen der Handlungsfreiheit. Wenn ich also nur noch 450 qm große inhabergeführte Quartierssupermärkte zulasse, bedeutet das eben auch, dass Bürger*innen nicht mehr frei wählen können, wo sie einkaufen. Aktuell besteht die Freiheit, die Läden zu nutzen, die mir das Gefühl geben, von Skaleneffekten rießiger Handelskonzernen profitieren zu können (ob das nun stimmt oder nicht, ist dann eine andere Frage) geben. Jeder hat die Freiheit, es für sich als Vorteil zu sehen, einmal in der Woche die Familie in ein Auto zu setzen, das quängelnde Kind zu ertragen und dann am Samstag den Familieneinkauf in einem vollen Laden zu machen und ein immer mehr quängelndes Kind zu ertragen.
Wer nach der starken Hand des Staates ruft, ruft in dem Fall immer auch die Beschränkung der Freiheit und wer sagt einem, dass der Staat in der Sache die richtige Entscheidung trifft? Die Mehrheit der Bevölkerung scheint ja die Teerwüsten vor ähnlich gebauten Läden am Ortsrand für einen akzeptablen Preis ihrer Präferenzen zu haben. Und es ist mehr Nostalgie als substanziell, wenn man sagt, die kleinen inhabergeführten Quartiersläden wären grundsätzlich besser. Sind es nicht gerade die selbstständigen EDEKA/REWE-Kaufleute, die in der Kritik stehen, niedrige Löhne zu zahlen?
Die Beschränkung der Freiheit kann auch von Außen kommen, denn der Versuch politischer Einflussnahme der Förderländer wird steigen. Darauf sollte sich eine dermaßen importabhängige Volkswirtschaft vorbereiten. Paternal hin oder her, dafür wird ja gewählt – dass diejenigen, die gewählt werden ihre Vorstellung von einer besseren Zukunft einstielen dürfen. Es liegt an jedem von uns, unsere Überzeugung anderen gegenüber glaubhaft zu vertreten und im Falle einer legitimierten Machtposition gleichgesinnt Denkender – für diese gilt dann: diese auch umzusetzen.
Grade spuken mir wieder Textzeilen von Joint Venture im Kopf herum:
Hallo Matthias, da gehört viel Mut dazu, sich zu seiner verwerflichen Doppelmoral (Fahrradfahrer/Autofahrer) öffentlich zu bekennen. Gott sei Dank wohnst du so weit abgeschieden, dass da keiner mit Fackeln und Äxten kommt und dich auf dem Scheiterhaufen verbrennen will ….
Aus diesem einen Post von dir kann ich so viel lernen!
1. Ich habe soeben beschlossen, mein seit knapp 7 Jahren nicht benutzten Zweitwagen dem Nachbarsjungen zu schenken.
2. Ich stehe ab jetzt öffentlich und auch vor meiner Frau dazu, dass ich einfach ein Endnutzer bin.
3. Ich hinterfrage mittlerweile jede Autofahrt, ob ich diese auch anders erledigen könnte – meist macht das Pedelec mit Anhänger das Rennen – ÖPNV und CarSharing sind einfach zu zeitintensiv! Schön dass das noch jemand so sieht.
4. Mobilitätserziehung ist Elternsache? Diesen Satz finde ich genial – gemerkt!
Ne, Äxte und Kettensägen habe ich selber. Wäre ja Eulen nach Athen tragen.
Vielen Dank für die Blumen ;-)